Da will an diesem Tag so gar nichts gelingen. Irgendwie ist der Wurm drin. Am frühen Morgen hat es schon angefangen. Wie immer habe ich meine Morgenrituale minutengenau getaktet und für außergewöhnliches ist kaum Zeit. Ich will ja schließlich zur Arbeit und da muss, wie jeden Morgen, alles nacheinander funktionieren. Die Kaffeemaschine sieht das anders. Der Kaffee sieht aus wie Wasser und die Zeit fehlt, um noch einmal neuen Kaffee aufzusetzen. Der Kaffeefilter war nicht richtig eingelegt und das Wasser hat sich den Weg an dem Filter vorbei gesucht. Als mir anschließend im Badezimmer dann noch meine Farbpalette der Lidschattenfarbe ins Waschbecken fällt und zerbröckelt, muss ich mich erst einmal setzen. Da hilft nur tief Luft holen, neu sortieren und versuchen sich an dem Farbspiel im Waschbecken freuen.
Das würden wahrscheinlich Kinder tun, wenn sie in der Situation wären, sich ein Spiel mit diesen intensiven Farben ausdenken und darüber die Zeit vergessen.
Einen kurzen Augenblick bewundere ich tatsächlich das Farbenspiel, weil sich die Farbpigmente mit dem Wasser verbinden und in wunderschönen Farbtönen im Waschbecken zerfließen. Schließlich beeile mich, damit ich dann doch noch pünktlich aus dem Haus komme um zur Arbeit zu fahren. Auf dem Weg fahre ich noch kurz zu meinen Eltern und bringe ihnen eine Zeitschrift vorbei. Zügig fahre ich danach aus der Einfahrt heraus. Dabei übersehe ich dann einen großen Stein, der als Grenzstein seit kurzen an einem Wiesenstück liegt. Ein unangenehmes Geräusch bringt Gewissheit, dass mein Auto nun einen Schaden hat, den ich mal eben verursacht habe. So wirklich fasse ich das Dilemma nicht und denke – Ach jeh… das auch noch.
Wie war das noch? Alles wird gut! Das ist der Spruch, den ein Bekannter in ähnlichen Situationen verwendet. Aber das will ich in dem Moment gar nicht hören. Erst einmal will ich mich ärgern, ich brauch das jetzt und fühle mich nicht wohl, wenn ich dem Gefühl nicht nachgehe. Dann liegt es an mir wie ich mit der Situation umgehe. Es ist naiv zu sagen: „Ach was soll`s – irgendwann wird alles gut.“ Dann brauch ich mich ja nur zurück zu lehnen, weil ja schließlich alles gut wird. Ich gebe mich einer passiven Haltung hin, die davon ausgeht, keine Einwirkung zu haben über das was geschieht. Es ist eine Art naiver Optimismus und keine Zuversicht.
Über die Kraft unserer inneren Freiheit schreibt Ulrich Schnabel in seinem Buch Zuversicht. Wir haben es in der Hand, wie wir Situationen bewerten. Dazu brauchen wir den Blick für die Realität im Abgleich mit unseren Möglichkeiten in der Situation. Das „innere Spiel“ können wir beeinflussen.
Ich kann die Geschehnisse als furchtbar beurteilen, oder aber als Erlebnisse, die im Alltag passieren und geregelt werden können. Ich nehme mir die innere Freiheit die Dinge, die geschehen nach meinen Möglichkeiten zu bewerten. In vielen Fällen hilft die Rückschau auf eine eigene erfolgreiche Bewältigung von Ereignissen in der Vergangenheit. Wie habe ich in der Vergangenheit äußere Umstände, die schwierig erschienen, gemeistert? Welche Fähigkeiten habe ich genutzt? Bestimmt habe ich mich mit Freunden ausgetauscht, die mir Mut zugesprochen haben. Ich habe mich dadurch an meine Kreativität und Gestaltungskraft erinnert und mich gestärkt gefühlt. Ich habe mir meine Möglichkeiten in der Situation angeschaut und agiert, anstatt mich von den schwierigen Umständen lähmen zu lassen. Wenn wir uns von den Gedanken der Angst leiten lassen, dann verlieren wir Klarheit für die Kraft zu Handeln.
Der erste Schritt in schwierigen Situation ist zu akzeptieren was gerade passiert ist. Den Ärger zulassen und anschließend überlegen was nun zu tun ist. Kann ich mit dem was gerade passiert ist weitermachen oder muss ich jetzt erst einmal meinen Tagesablauf ändern. Wen kann ich anrufen? Vielleicht erhalte ich ja mit dem Anruf einen unerwarteten Freundschaftsdienst, der mir den Wert der wahrhaftigen Freundschaft zeigt? Diese Erlebnisse ebnen den Weg für die Zuversicht.
Es ist vieles im Nachhinein regelbar, auch wenn durch das plötzliche Ereignis Ärger oder das Gefühl der Machtlosigkeit entsteht. Die gilt es zu überwinden, wenn die Lebensumstände düster und aussichtslos erscheinen.
Gerade die Geschehnisse, die uns aus der Bahn werfen, lassen viele Ängste entstehen. Da kommt zudem oft das Gefühl der Überforderung hinzu und blockiert die Gedanken. Auch da habe ich die innere Freiheit der Bewertung. Ich kann mich informieren, mit Fachleuten diskutieren und gemeinsam mit anderen. nach Lösungen suchen. Verbundenheit mit anderen Menschen stärkt. Außerdem kann ich meine innere Kritik zur Situation aktivieren, abwägen und Stellung beziehen, anstatt mich der Illusion hinzugeben, dass alles schon irgendwie gut werden wird und lieber schweige und aushalte.
Die eigenwillige Kaffeemaschine, die zerstörte Farbpalette im Bad und der Unfall mit dem Stein zeigen, dass ungeplante, störende Ereignisse trotz perfekt geplanter Morgenroutine möglich sind. Erste Hilfe gibt auch Humor und Gelassenheit, um den Alltag weiterhin zu meistern. Wenn ich an Widerständen scheitere und die Konzentration weiterhin an diesem Erlebnis kleben bleibt, dann nehme ich mir die Energie für den Tag. Wenn ich die Fähigkeit aktiviere zu lachen, dann tanke ich Kraft und habe die Zuversicht, dass der Tag gelingt. Diese Geschehnisse machen das Leben bunt und geben einiges an Material für Geschichten, die ich mit anderen Menschen teilen kann.
Auch online erschienen als Kolumne in der Siegener Zeitung (bitte auf das Bild klicken):