Bitte freundlich, und das möglichst immer und überall – das scheint für viele Menschen gerade in zwischenmenschlichen Begegnungen eine Bedingung zu sein. Wenn dem tatsächlich so ist, dann verursacht diese scheinbare Freundlichkeit eine Oberflächlichkeit, die wenig Raum für Eigensinn lässt. Und damit bin ich nicht einverstanden. Gerade in den sozialen Netzwerken ist es aktuell ein Trend, dass dort aktive Menschen Likes erwarten. Es ist in manchen digitalen Szenen üblich, in den Kommentaren mit freundlicher Zustimmung zu reagieren. Es ist für alle Seiten förderlich, etwas Nettes zu schreiben. Dadurch wird der gepostete Beitrag mit Wohlwollen bestätigt, insbesondere bei Instagram ist das zu beobachten. Alle fühlen sich gut und schweben auf einer Wohlfühl-Wolke.
Besonders unter Frauen ist es nett, wenn alles toll ist und wir uns alle lieb haben. Wir wollen uns unterstützen und fördern. Nur: Wenn ich über nachfolgende Situation nachdenke, dann sehe ich eine wirkliche Unterstützung anders.
Eine selbständige „Kollegin“ hatte eine Veranstaltung und erwartete von den Teilnehmenden ein Feedback, das anschließend in den sozialen Medien gepostet werden sollte. Die angekündigte Veranstaltung wirkte interessant und sollte in sehr angenehmen Räumlichkeiten stattfinden. Ich war auch dabei, hatte sehr viel Freude mit all den Menschen und wollte diesen Abend genussvoll abschließen. Doch es kam anders.
Um 21 Uhr sollte die Veranstaltung zu Ende sein, ein abschließendes Essen war angekündigt. Es wurde später und später und ich wurde innerlich immer unruhiger, denn die Uhr zeigte fast 22 Uhr und gegessen hatten wir immer noch nicht. Die motivierte Veranstalterin sah ihren Fokus darin, uns so viele Informationen wie möglich zu geben. Die Balance zwischen Genuss, Stressfreiheit und Informationen kam ins Schwanken. Mein Kopf war voll, der Abend lang – und ich hatte Hunger. Außerdem war die Heimfahrt mit dem Fahrrad nicht mal eben um die Ecke und ich musste am nächsten Tag wieder früh aufstehen, schließlich hatte ich einige Termine geplant und wollte für diese fit sein. Kurz nach 22 Uhr machte ich mich dann – immer noch hungrig und verärgert – auf den Heimweg, während ein Großteil der anderen Teilnehmenden genussvoll zusammensaß und aß.
Als ich dann einige Tage später um ein Feedback gebeten wurde, war ich überfordert. Wie sage ich es freundlich? Und vor allen Dingen so, dass es die „Kollegin“ offen aufnimmt und als konstruktive Kritik für ihre eigene Entwicklung versteht? Unternehmerinnen sollten sich ja gegenseitig unterstützen und fördern. Also sprach ich ihr Anerkennung aus, weil sie sich so viel Mühe gegeben hatte. Gleichzeit schilderte ich, wie es mir ergangen war. Ich empfahl, das zu beherzigen und kommende Veranstaltungen einigermaßen in dem Rahmen zu halten, wie angekündigt. Manche Menschen brauchen das nämlich einfach, sonst entwickeln sich Unruhe und Stress. Das ist für eine wohlgemeinte Veranstaltung zum Thema Gesundheit nicht förderlich.
Über den Wortlaut meiner Nachricht habe ich mir viele Gedanken gemacht. Ich war gespannt auf die Reaktion und wünschte mir, dass wir anschließend in einen Austausch kommen. Nur: Leider kam nichts zurück.
So ist das wohl. Also lieber sagen, es war toll – und das dann bitte noch blumig ausgeschmückt, damit es gepostet werden kann?
Ich habe vermutlich die Erwartung der unbedingten Freundlichkeit nicht bedient, sondern war einfach nur ehrlich. Doch will das heute noch jemand hören? Wo läuft das hin? Wollen wir alles schön, sauber und nett haben?
Wollen wir alle ein positives Mindset mit dem Hintergrund einer immerwährenden Nettigkeit haben? Das wäre fassadenhaft und birgt Gefahren.
Ich möchte mich weiterhin trauen, wohlgemeinte Kritik zu äußern. Ich möchte auf mögliche Verbesserungen hinweisen, mich auseinandersetzen, ich möchte nicht nur gemocht werden wollen. Es darf ungemütlich werden und nicht ausschließlich wohlgefällig. Ich möchte Ecken und Kanten spüren, aus der Komfortzone rausgehen und mich im Austausch weiterentwickeln. Was wäre freundliche Ehrlichkeit ohne das Risiko der Unbeliebtheit? Eine fassadenhafte Schönmacherei.
Wenn alles „glatt gezogen“ wird, weil gerade alles so rund läuft, dann sind unbequeme Worte ein Tabu.
Die von mir erlebte Situation bezieht sich auf den Umgang von Unternehmerinnen, die der Öffentlichkeit digital ihre tollen „Aktionen zeigen möchten. Das hat mich angeregt, weiter zu denken und Fragen zu stellen: Wie soll man sich dann trauen, Missstände aufzuzeigen, wenn niemand sie hören will, weil alles in einer geraden Spur bleiben soll? Wie können wir eine Atmosphäre schaffen, die uns erlaubt, für kritische Worte empfänglich zu sein? Wie können wir unsere Wachheit und Aufmerksamkeit erhalten und für kritische Nachrichten offen bleiben? Wie kann ein Gefühl wirklicher Wertschätzung entstehen, so dass sich jemand traut, Unangenehmes zu sagen? Dazu braucht es Offenheit und eine ehrlich gemeinte Freundlichkeit im Hören und Sagen.
Wenn ich wage, mich zu zeigen, dann riskiere ich, im Anschluss Unangenehmes zu hören. In diesen Situationen darf ich entscheiden, ob ich mich auseinandersetzen oder das Gehörte einfach ignorieren möchte. Für die kritische Reflektion braucht es Mut zum Eigensinn und Mut, um für seine Haltung einzustehen. Ich möchte lieber unbequem und dafür authentisch sein. Daran kann ich wachsen und mich stärken. Dann wage ich es auch, in Strukturen, die mir kein Wohlgefühl geben, aufzuzeigen, was nicht rund läuft. Wenn in zwischenmenschlichen Begegnungen innerhalb von Organisationsstrukturen alles glatt läuft und damit eine Fassade von Menschenfreundlichkeit entsteht, die auf einem Hochglanzfundament basiert, wäre das fatal. Es braucht Mut zur freundlichen Kritik. Das wäre ein Schritt zur echten Freundlichkeit.