Immer wieder neu – der Berg mit unseren täglichen Aufgaben

von | 2. November 2021

Vor einiger Zeit habe ich mich entschieden, in ein kleines Dorf in der Nähe von Siegen zu ziehen. Bevor ich mit dem Fahrrad zu Hause ankomme, erwartet mich ein anstrengender Anstieg. Da ich keinen Motor am Fahrrad habe, kostet mich dieser Weg manchmal Überwindung. Oft lasse ich zu Beginn des Tages mein Auto stehen, fahre munter den Berg hinunter, was herrlich ist, und muss abends wieder hinauffahren. Dann steh ich vor dem steilen Weg und denke mir, dass ich gerade keine Lust habe, dass ich müde bin und es schön wäre, wenn jetzt doch ein Bus kommen oder mich jemand abholen könnte. Nur: jammern nützt nichts. Der Weg, der jetzt hier vor mir liegt, der ist jetzt nun mal da und will gegangen oder gefahren werden. Ich akzeptiere, dass es so ist wie es ist, entscheide mich also fürs Schwitzen und nutze schließlich die Kraft
meiner Beine.

Wenn ich diese Strecke über Wochen kontinuierlich fahre, dann stelle ich fest, dass meine Kondition und die Kraft immer stärker werden. Die Steigungen fahren sich leichter und ich bin begeistert von meiner Fitness. Wenn es mir zu steil wird, dann steige ich ab und schiebe. Auch das fällt mir immer leichter.

Wenn ich dieses Erleben auf meinen Arbeitsalltag übertrage, dann hilft dieses Bild beim Erledigen der vielen Aufgaben. Die Aufgaben wollen und sollen erledigt werden. Also nehme ich einen Faden auf, indem ich mir die dringlichste Aufgabe vornehme und anfange. Es ist oft viel und fordernd, aber Schritt für Schritt löst sich das Knäuel von Aufgaben. Es lohnt sich schließlich und ich sehe bald die ersten Erfolge des Tages. Am Ende bin ich zufrieden mit dem, was ich geschafft habe und empfinde ein glückliches erschöpft sein. Alles, was dann sonst noch da ist, kann auch am nächsten Tag bearbeitet werden.

Wenn eine große Herausforderung da ist, dann wirkt der Anfang schwer und manchmal unüberwindbar. Egal ob in der Freizeit oder in der Arbeitswelt. Wenn wir Schritt für Schritt anfangen und erste Erfolge sehen, dann werden wir sicherer in dem, was wir tun. Dazu gehören unser Vertrauen und die Fähigkeiten. Wir erkennen dann, dass wir unsere Ressourcen nutzen können. Das stärkt uns für weitere Aufgaben. Eine hilfreiche Metapher ist eine Wanderung in den Bergen. Berge wirken erst einmal riesig und der Weg bis oben ist anstrengend. Und er fordert uns. Wenn ich mir dann ein Zwischenziel setze, dann wirkt der Weg machbar und ich erkenne die Erreichbarkeit. Genauso ist es mit den täglichen Aufgaben oder mit einer neuen Herausforderung. Die Erkenntnisse einer Bergwanderung kann ich also gut auf meinen Alltag übertragen und auch ein wenig auf meinen kleinen „Berg“ im Siegerland. Wenn eine schwierige Aufgabe da ist, dann wirkt sie erst einmal wie ein unüberwindbarer, steiler Berg. Wenn wir losgehen, dann können wir versuchen, drumherum zu gehen, Auswege zu suchen, Zwischenziele zu bestimmen, bis wir schließlich einen machbaren Weg finden und ankommen.

Vergleichbar mit einem Berg in den Alpen sind die Berge im Siegerland klein und überwindbar. In den Alpen lockt die Hütte als Belohnung, wenn wir nach oben gehen. Wir gehen los, weil wir uns am Morgen für die Wanderung entschieden haben und Lust darauf haben. Also fangen wir einfach an. Wir gehen Schritt für Schritt, machen immer wieder Halt, ruhen uns aus, blicken uns um und wir schauen, ob wir noch auf dem richtigen Weg sind. Wir warten auf die nächsten Schilder, die uns den richtigen Weg weisen können. Dann machen wir vielleicht noch einmal eine Pause, essen etwas und gehen danach gestärkt weiter. Unsere Beine werden nach einigen Wanderungen kräftiger. Das können wir auf unsere täglichen Aufgaben übertragen. Wenn wir die Aufgaben als schwierig und unüberwindbar sehen oder wir das Gefühl haben, dass wir gegen eine Wand laufen, dann können wir trotzdem den ersten Schritt machen.
Meistens hilft es, dass wir uns erst einmal sachliche Informationen einholen oder uns die Erfahrungen anderer anhören.
Vielleicht beleuchten wir dann die Situation noch einmal anders und bekommen Mut für das, was uns fordert. Wir merken, dass wir nicht alleine sind. Da gibt es andere Menschen, die ähnlich empfinden.

Wir bekommen Lust auf die Aufgabe und sind gespannt, wie wir welche Lösungen finden.

Für mich selbst habe ich festgestellt, dass es mehrere Wege zurück nach Hause gibt. Ich muss nicht diesen einen steilen Weg nehmen. Anstrengend ist es immer – nur habe ich die Wahl. Ich kann ja zum Beispiel auch einen schönen Weg durch den Wald nehmen. Ich kann entscheiden, wie viel ich mich anstrengen möchte. Mein Fahrrad lässt sich prima schieben, dann bleibe ich zwischendurch stehen und schaue mich um. Je nach Tageszeit und Wetterlage erlebe ich wunderbare Naturszenarien. Ich muss nicht immer meine Leistung ausschöpfen. Wenn wir Erfolge erleben, indem wir etwas geschafft haben, dann ist es wichtig, dass wir innehalten und das Gefühl genießen. Dazu bleibt im Alltag oft keine Zeit.
Es ist für unser Wohlbefinden aber wichtig, dass wir uns in dem Moment (oder später) die Zeit dafür nehmen und unsere Erfolge feiern.

Es ist ein erfülltes Gefühl, dass wir mit dem, was wir an Fähigkeiten in uns tragen, etwas geleistet haben. Wir stellen fest, dass wir lernfähig sind, dass sich dieses Gefühl bei Wiederholungen festigt und zu einer Überzeugung wird, ja, ich bekomme das hin! Ich schaffe den Berg, Schritt für Schritt, es wird dauern und irgendwann bin ich oben – und genieße.

Dieser Artikel erschien ebenfalls im GESUNDHEITS KOMPASS Südwestfalen (Magazin der Siegener Zeitung) im Oktober 2021

PERSPEKTIVWECHSEL - Heike Henrichs-Neuser

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