NR. 4 · NOVEMBER 2025 GESUNDHEITSKOMPASS | GEDANKEN ÜBER DAS LEBEN
Haltepunkte im Alltag: Wie wir Sicherheit in uns selbst finden
In herausfordernden Zeiten kann unser Nervensystem leicht in Anspannung geraten. Kleine Momente der Verbundenheit und bewusste Rituale helfen, innere Stabilität und Wohlbefinden zu stärken
Liebe Leserinnen und Leser,
nach einer längeren Auszeit schreibe ich nun endlich wieder die Kolumne für den Gesundheitskompass Südwestfalen. Das freut mich sehr. Die zurückliegenden Monate waren für mich eine lernintensive Zeit. Gelernt habe ich viel über unser Nervensystem, die Stressverarbeitung, über innere Dynamiken, Bindungssysteme und körpertherapeutische Unterstützung.
Durch die vielen Erkenntnisse weiß ich jetzt ganz sicher, dass wir viele Stellschrauben haben, um unser Wohlbefinden zu erhalten, zu verbessern und zu stärken. Denn: Viele Faktoren für unsere Gesundheit können wir selbst gestalten und beeinflussen.
Bei Menschen, die ich in meiner Praxis begleite, sehe ich seit längerer Zeit immer häufiger, dass sie Situationen erleben, die sie als Unsicherheit oder auch als etwas Bedrohliches wahrnehmen. Sei es eine Erkrankung, der Wegfall einer gewohnten Tätigkeit, oder auch finanzielle Unsicherheit. Manchmal sind es auch Geschehnisse in Beziehungen, die nicht angenehm sind. Wenn wir all das erleben, dann kann es sein, dass wir Gedanken an eben diese Situationen heften und sie bewerten. Das verursacht oft eine Schwere, die das Erlebte noch mal intensiver werden lässt. Wir verbinden die Situation mit negativen Emotionen, was wiederum ein Gefühl vom „Ausgeliefertsein“ erzeugt.
Wenn wir uns dann unsere körperlichen Reaktionen anschauen, erleben wir Erstaunliches: Unser Herzschlag wird schneller, es entsteht Enge, vielleicht innere Unruhe – unser Nervensystem schaltet um auf Stressmechanismen.
Angst und Sorge können entstehen und schließlich ein Gefühl von Hilflosigkeit und Rückzug. Wir sagen dann Sätze wie „Bringt ja eh alles nichts“, „Ich kann sowieso nichts machen“, „So etwas passiert immer nur mir“ oder „Was soll nur werden?“ Kurzum: Wir empfinden einen Zustand von Anspannung. Wollen wir diesen Zustand ändern, dann ist es gut, wenn wir unsere persönlichen „Haltepunkte“ kennen. Was gibt uns Halt? Wer hält uns? Was gibt uns ein Gefühl von Sicherheit? Wann empfinden wir tiefe Verbundenheit?
Wir brauchen eine Landebahn, auf der wir uns sicher und geborgen fühlen. Falls wir es dann schaffen, unsere Aufmerksamkeit darauf zu richten, könnten wir uns von den überwältigenden Emotionen lösen. Wir entscheiden uns also dazu – falls wir herausfordernde Situationen haben –, den Fokus bewusst zu lenken: weg von der inneren Anspannung und ihrer weiteren Verstärkung, hin zu Signalen der Sicherheit.
Das können freundliche Gesichter, Gesten und Worte in unserem Umfeld sein, eine beruhigende Sprache, offene, zugewandte Blicke oder auch klare Abläufe im Alltag. Da gibt es noch vieles mehr, das wohltuend auf uns wirkt, unsere innere Anspannung regulieren kann beziehungsweise die Verstärkung erst gar nicht aufkommen lässt. Stellen wir uns also vor, wir erhalten eine negative Nachricht oder wir erleben etwas, das wir noch nicht einschätzen können. Unser System reagiert dann mit erhöhter Aufmerksamkeit und verengt sich. Alle „Antennen“ überprüfen, ob wir immer noch sicher sind. Sie nehmen Bedrohung wahr und es entwickelt sich ein Zustand von Angst und Sorge. Wir nehmen vermehrt Geschehnisse, Eindrücke und Wahrnehmungen auf, die das bestätigen, weil jetzt unser „Wahrnehmungsfenster“ verengt ist. Angespannt sind wir kaum in der Lage, offen und neugierig zu sein. Der enge Zustand befähigt uns zunächst, in der plötzlichen Anforderung sehr klar und effizient zu agieren.
Nur kostet es auf Dauer viel Energie, den Zustand der Anspannung zu halten. Damit ich wieder freier denken, fühlen und mich öffnen kann, ist der „Haltepunkt“ hilfreich. Das kann dann ein angenehmer Spaziergang in der Natur sein, ein freundliches Gespräch, ein Gefühl von innerer Stabilität, ein Anker im Körper oder vielleicht eine wohltuende Gewohnheit sein. Vor allen Dingen aber die Bereitschaft, in kleinen Sequenzen diese „Haltepunkte“ zu erkennen, zu wählen und das Bewusstsein darüber zu stärken, damit sie in herausfordernden Situationen greifbar sind. Heißt: Wichtig wäre, genau das jeden Tag im Alltag zu üben, um bei Bedarf darauf zugreifen zu können. So können wir uns immer besser regulieren. Die ankommende Anforderung wird händelbarer und gestaltbarer – und wir befinden uns auf einem Weg, auf dem wir Situationen bewusster wahrnehmen und Stück für Stück bearbeiten können.
Hilfreich sind dabei kleine Reflexionsfragen – etwa: Welche kleinen Haltepunkte fallen mir ein, die mir ein Gefühl von Sicherheit geben? Gibt es Rituale, die mir nach anstrengenden Terminen guttun? Welche Signale erkenne ich selbst, wenn ich merke, dass ich nicht gut mit mir verbunden bin? Wie komme ich da raus, um wieder in Kontakt mit mir selbst zu sein? Wie könnte meine Haltung und Sprache sein, wenn ich mich mit mir selbst wohlfühle?
Diese Fragen lassen uns immer mehr nachspüren für das, was uns guttut. Somit kommen wir mehr mit uns in Kontakt, empfinden mehr Sicherheit in uns und können aufkommenden Anforderungen langfristig standhalten. Wir lernen uns zu regulieren und geben unserem System mehr Orientierung. Das ist gut für alle – probieren Sie es doch einfach mal aus.





