Entscheidung – soll ich oder soll ich nicht?

von | 25. Juni 2021

Wie soll ich mich bloß entscheiden? Was ist hier richtig oder falsch? Und was ist, wenn ich mich entscheide und dann feststelle, dass es ganz und gar nicht das ist, was ich will oder der Sache dient? Wir fällen am Tag sehr viele Entscheidungen. Da hilft uns Routine und Erfahrung in vielen alltäglichen Handlungen. Mikroentscheidungen treffen wir unbewusst, sonst wäre unser Gehirn restlos überfordert. Das Gehirn arbeitet permanent. Viele Entscheidungen machen müde. Routinierte Abläufe wie zum Beispiel das tägliche Morgenritual beinhalten keine anstrengenden Entscheidungswege. Da sind die einzelnen Schritte wiederkehrend und wir handeln fast automatisch.

Die Tragweite unserer Entscheidungen im Alltag ist unterschiedlich. Ein Richtig und ein Falsch gibt es dabei nicht. Welche Farbe der Socken darf es heute sein? Welches Essen koche ich heute? Fahre ich mit dem Auto zur Arbeit oder nehme ich das Fahrrad? Diese Entscheidungen sind in der Auswirkung eher gering. Das Auto ist garantiert bequemer und die Entscheidung ist einfach. Spontan wird meistens zum Autoschlüssel gegriffen. Und wie mache ich es selbst in meinem Alltag? Was ist, wenn ich das Fahrrad nehme? Wenn ich einen anderen Weg ausprobiere? Da brauche ich erst einmal die Motivation für die ungewohnte Entscheidung.

Da hilft mir meine Erfahrung nach mehreren Fahrradtouren, dass ich auf Dauer wesentlich ausgeglichener und entspannter bin, wenn ich die sportliche und „unbequeme“ Herausforderung annehme. Dazu brauche ich eine entsprechende Vorbereitung. Ich packe meine Fahrradtaschen, nehme meinen Laptop, und da ich im Büro einen bestimmten Kleiderstil pflege, will ich das auch noch berücksichtigen. Das alles in Kombination fordert mich natürlich mehr heraus. Einfacher ist, wenn ich mir meine gewohnten Taschen nehme, sie ins Auto lade und einfach losfahre. Diese Schilderung ist eine Möglichkeit, um Entscheidungen zu treffen. Einfach visualisieren, wie das Ergebnis sein kann. Wie fühle ich mich danach? Wie wäre es, wenn…? Am vorliegenden Beispiel kann der Gedanke an das Erlebnis beim Fahrradfahren und die Zufriedenheit nach der körperlichen Aktivität die Entscheidung leichter machen: die Unabhängigkeit, keine aufwendige Parkplatzsuche und der Genuss der frischen Luft in der Natur.

Zugegeben, das Radfahren in Siegen ist überwiegend eine Zumutung, weil die Radwege zum Teil sehr schlecht sind. Das könnte für einige Personen das Argument sein, es nicht zu tun. Mir aber hilft schnell die Vorstellung an die Bewegung in der Natur. Deswegen nehme ich meistens mein Fahrrad. Wenn ich dann meine Entscheidung gefällt habe, genieße ich. Ich bin dann ganz beim Tun und zweifle keinen Moment Das ist eine Haltung aus der Achtsamkeit Die Kunst, das Hier und Jetzt intensiv zu erleben und Energie zu tanken, statt die Zweifel zu nähren und sich zu schwächen. So klingt es optimal und idealistisch, nur der Alltag erwischt uns schon mal anders. Spätestens beim nächsten Regenschauer und der vergessenen Regenhose. Da gilt es dann, nach vorne zu schauen, sich der eigenen Entscheidung bewusst zu werden, dazuzustehen und es mit Humor zu nehmen.

Große Entscheidungen sind weitaus komplexer. Dabei hilft dann, umfangreiche Informationen einzuholen und sich bei Personen zu erkundigen, die ähnliche Erfahrungen gemacht oder das nötige Wissen haben. Komplexe Entscheidungen stehen in ihrer Auswirkung in Wechselwirkung miteinander. Dies bestätigen Entscheidungen in Politik, in Arbeitsprozessen usw. Hier hilft es, in die Zukunft zu denken, um zu sehen, was für Auswirkungen die Entscheidung auf weitere Personengruppen oder Verläufe in Prozessen haben kann. Es hilft auch, Personen, die betroffen wären, zu fragen, mit welchen Folgen sie rechnen würden.

Bei komplexen Themen ist eine besonnene Vorgehensweise sinnvoll, die Konsequenzen der Entscheidung abzuschätzen und damit klüger zu entscheiden. Eine gute rationale Übersicht, aufgeteilt in eine Liste mit pro und contra, kann erst einmal eine Hilfe sein. Diese Liste sollte nur nicht alleine als Grundlage dienen, weil die einzelnen Punkte nicht gleichwertig sind. Wenn wir die Bedeutung, die wir mit den Themen verbinden, noch mit in die Bewertung einbeziehen, dann fällt die Gewichtung anders aus. Sachliche Punkte, aber auch emotionale Themen sind für eine kluge Entscheidung erforderlich. Als Psychologin betrachte ich auch den Aspekt der verschiedenen Persönlichkeitstypen und das Thema Werte in der Entscheidungsfindung. Jede oder jeder von uns entscheidet unterschiedlich. Es gibt Menschen, denen eine Entscheidung leicht fällt. Sie haben unter anderem aus ihren Erfahrungen gelernt, haben eine gute Reflexionsfähigkeit, haben meistens eine gute Verbindung zu ihrer Gefühlswelt und besitzen eine Fehlertoleranz.

Ein wichtiger Aspekt ist auch der Nachentscheidungsprozess. Die Theorie, dass eine gefällte persönliche Entscheidung sofort glücklich macht, stimmt leider meistens nicht. Nach einer Entscheidung ist viel Neues da, was erst einmal akzeptiert und ins Leben integriert werden will. Alte Überzeugungen treten auf und lassen uns zweifeln, ob wir auf dem richtigen Weg sind. Da hilft es mit Freunden zu sprechen, damit wir reflektieren können. Wir können uns auch vorstellen, in alte Gewohnheiten umzukehren – was wäre dann und wie würde sich das dann anfühlen? Was ist mit der Reaktion unseres Körpers? Wird es vielleicht eng im Brustraum oder haben wir ein allgemein ungutes Gefühl dabei? Wenn es uns auf Dauer schlecht damit geht, dann gilt es umzukehren oder einen neuen Weg zu versuchen.

Im beruflichen Kontext brauchen erkannte Fehlentscheidungen im Nachhinein einen sinnvollen Reflexionsprozess mit lösungsorientiertem Ansatz unter Beteiligung unterschiedlicher Fachleute. Reflektieren kann man sehr gut, wenn man das Fahrrad nimmt und in Ruhe nach Hause fährt.

DAS REZEPT FÜR ENTSCHEIDUNGEN

  • 1 Handvoll Mut
  • 1 Messerspitze Lernbereitschaft
  • 1 Becher Offenheit
  • 1 Prise Nachsicht
  • 1 Löffel Neugier auf das, was kommt
  • 0,5 Liter Loslassen
  • 1 Handvoll Akzeptanz für den neuen Weg

Die Mengenangaben sind je nach Tragweite der Entscheidung zu verändern.

Dieser Artikel erscheint ebenfalls im GESUNDHEITS KOMPASS Südwestfalen (Magazin der Siegener Zeitung) im Juni 2021

PERSPEKTIVWECHSEL - Heike Henrichs-Neuser

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